Endlichkeit und Grenzenlosigkeit

(Kolumne MM)

“Manche Musiker mögen Atheisten sein, aber alle glauben an Johann Sebastian Bach.”

Dieses bekannte Bonmot möge am Anfang stehen, es spricht mir aus dem Herzen. Das erste Violinkonzert des 20. Jahrhunderts, das ich gespielt habe, ist jenes von Alban Berg. Gerade achtzehn war ich bei meiner persönlichen Premiere, und wenig über 30 Jahre war das Werk damals alt. Heute ist Geschichte, wie es sich während seiner Entstehung von einer Auftragsarbeit zu einem Requiem für ein zauberhaftes junges Mädchen wandelte, und wie es bald darauf zu Alban Bergs eigenem Requiem wurde. Es endet mit einer großen Phantasie über Bachs Choral „Es ist genug“ mit den Worten „Ich fahre sicher hin mit Frieden, mein großer Jammer bleibt danieden.“ Wäre nicht schon die Musik allein genug gewesen, hätten diese Koinzidenzen wohl ausgereicht, meine Faszination zu wecken.
Paradox? Keineswegs. Spätestens ab der Pubertät setzt sich wohl jeder junge Mensch mit den Grenzen des irdischen Lebens auseinander.
Ebenso organisch finde ich, Jahrzehnte später diesen Faden wieder aufzugreifen, jetzt unter dem Motto, das Bach zuweilen über seine Kontrapunkte setzte: „al riverso“ – umgekehrt: Adriana Hölszky hat mir ihr grandioses Violinkonzert gewidmet, das den Titel „Apeiron“ trägt: Das Unbegrenzte. Es wurde zu ihrem 65. Geburtstag in Stuttgart uraufgeführt und macht profund erfahrbar, was der Titel andeutet. Begrenzt wird die Zahl möglicher Jahre, Tage und Konzerte immer deutlicher. Aber sie verdichten auch ihre Intensität und lassen erleben, worauf Erwin Schrödinger hinweist: Dass Zeit nur eine der Möglichkeiten sei, die Erscheinungswelt zu ordnen. Den Gedanken, “den Zeittyrannen zu entthronen, mit ihm zu spielen, und sei es auch nur ein klein wenig”, nannte der große Physiker “eine große Erleichterung, einen religiösen Gedanken, ja den religiösen Gedanken schlechthin.”
O Ewigkeit, du Donnerwort“ heißt die Kantate, aus der Bachs Choral stammt. Musik lässt das Donnerwort als Urknall erfahren, und die Vielfalt des Seins als das Unbegrenzte.

Dass ich bald nach meiner ersten Aufführung des Berg-Konzertes Louis Krasner treffen durfte, der das Konzert in Auftrag gegeben und als Solist uraufgeführt hatte, war eine wunderbare Erfahrung, und seine Wertschätzung bedeutet mir bis heute viel (siehe auch Bildleiste am Kopf dieser Website).

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Grenzfragen anderer Art

Zum Namen MUMELTER (Sippenhaftung und Beifall von der falschen Seite; Standardszene in Jugendjahren, immer wieder…)

“Ah Mumelter heißen Sie, sicher ein Verwandter vom Hubert, gell?”
“Bloß nicht!”, war meine aggressive Antwort. Mit dem Südtiroler Heimatdichter und Kitschmaler deutschnationaIer Ausrichtung habe ich nichts zu tun. “Ah, dann sind Sie wohl mit der Marie-Luise Mumelter verwandt?” (..der Dichterin betulicher Kirchenliedtexte) “Auch mit der nicht” Aber aus Südtirol stammt die Familie schon, gell?”, kam die Rückzugsfrage. Damals knirschte es gewaltig zwischen Italien und Österreich, es gab immer wieder Bombenattentate, wobei die berechtigten Forderungen der Südtiroler nach Autonomie schnell von ganz weit rechts vereinnahmt wurden. “Mein Vater stammt aus Bozen”, gab ich zu, “doch er ist schon 1918 zum Medizinstudium nach Österreich gegangen und dort geblieben.” “Und die Frau Mama?”, kam es dann hoffnungsvoll. “…Hat als Mädchen Fabiani geheißen, Deutsch hat sie von klein auf gesprochen, weil es ihr Papá fast so gut konnte wie Italienisch, ja und ihre Mutter Ottilia, meine Oma, hieß als Mädchen Scarello, stammte aus Vicenza. Sie wissen schon, Palladio und so, keine sechzig Kilometer von Venedig…”

In den Augen meines Gegenübers war das schlimm. Seinesgleichen hatten meiner Mutter in Kindertagen “Walsche!” nachgeschrien, nachdem ihr ein paar italienische Brocken entkommen waren. “Und wie sind Sie dann zum schönen Namen Mumelter gekommen? Sind doch Bozner Patrizier, gell?” “Mumelter kommt vom Namen eines Weinbauernhofs. Der erste Besitzer im frühen Mittelalter hieß Munipold, das soll ‘kühner Geist’ oder ‘kühner Wille’ heißen.” “Na, sehen Sie!” “Gar nix ist da zu sehen. Das kleine Gut wechselte über die Jahrhunderte immer wieder den Besitzer, und jeder, der es bewirtschaftete, war dann eben ‘der Mumpleter’. Verwandt müssen all diese Mumpleters überhaupt nicht sein, und bei Ihrem Hubert und Ihrer Marie-Luise weiß ich zum Glück, dass es nicht der Fall ist. Sonst müsste ich mich ja glatt von dem Namen scheiden lassen!”

Spätestens da wandte sich das Gegenüber beleidigt ab.

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Leitspruch, einst von Henryk Szeryng geschenkt erhalten:

“Ein gutes Konzert beruht immer auf einer echten Mitwirkung des Publikums.”